Valen und Soraya
Der AuftragEs war ein Tag wie jeder andere. Dachte Valen jedenfalls. Die Sonne schien und die Vögel zwitscherten immer noch. Es war ein anstrengender Tag gewesen, viele Kleindiebe waren bei Valen gewesen um ihm die gestohlene Ware zu geben, damit er sie verkaufen konnte. Valen war Kaufmann und sein Haus war immer offen, für alle und jeden. Jeder der etwas zu essen brauchte, neue Kleider oder auch ein Bett für ein oder zwei Nächte, war bei ihm Willkommen.
Valen ließ sich in seinen alten Sessel sitzen. In der einen Hand ein Glas Brandy, in der anderen die heutige Zeitung. Müde gähnte er und überflog die heutige Zeitung und nippte ab und an seinem Glas. Wenn er Alkohol trank, dann nur, weil er fand, dass er es verdient hatte. So ein Glas feinem Schnaps war ja auch nichts entgegenzusetzen, besonders nach einem anstrengendem Tag. Er belebte die Sinne und er machte den Kopf klar.
Ein leises Seufzen drang über seine Lippen, als er plötzlich etwas hartes im Flur auf den Boden knallen hörte. „Caleb?“ Caleb war Valens Ziehsohn. Vor fünfzehn Jahren hatte er den damals noch kleinen Jungen vor dem sicherem Tod gerettet.
Vor fünfzehn Jahren ... Da war alles noch anders gewesen Valen war der berüchtigt Meisterdieb Nachtfuchs gewesen. Zusammen mit seiner Gefährtin Schattenelfe hatte er einen großen Einbruch nach dem anderem geplant. Doch nun war Schattenelfe, auch genannt Soraya, verschwunden. Sie war weg, als ob es sie nie gegeben hätte. Und alles war mit einem Einbruch angefangen. Manchmal wünschte Valen sich, dass er diesen Auftrag niemals angenommen hätte, denn wie sich später herausstellte, würde er sein ganzes Leben auf den Kopf stellen. Und Valen mochte sein Leben. Er hatte es so gemocht wie es damals war.
Schattenelfe und er waren zwar schon so erfolgreich gewesen, dass sie sich schon lange zur Ruhe hatten setzten können, doch die beiden waren Diebe aus Fleisch und Blut. Damals, wo Valen noch jung gewesen war. Siebzehn Sommer hatte er gezählt und Soraya gerade mal fünfzehn.
Gedankenverloren fuhr Valen sich durch die mittlerweile schütternden Haare. Es war ein – so was es ihm vorgekommen – einfacher Auftrag gewesen. Er sollte nur in eine Haus eindringen, etwas klauen und wieder hinaus. Es waren nicht mal Wachen aufgestellt. Und das geklaute war nur eine kleine Kette, scheinbar ohne großen Wert. Das einzige Problem, es gab nur ein kleines Fenster, dass sich nicht öffnen ließ und durch das man nur in das Haus kam, ohne aufsehen zu erregen. Was für andere Leute ein Problem dargestellt hätte, war für Valen ein Kinderspiel gewesen. Er war ein sogenannter Schlangenmensch. Das erlaubte ihm, ohne Probleme die Füße an den Hinterkopf zu drücken.
Da dieser Auftrag also so einfach war und es auch noch das kleine Fenster gab, beschlossen die beiden Diebe, dass diesmal Nachtfuchs ohne Schattenelfe gehen sollte.
Alles lief wie geplant und in Rekordzeit war Valen mit der kleinen Kette in der Tasche wieder vor dem Fenster und war am herausklettern. Doch es gab etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte. Als hinter ihm das Fenster zuschnappte – anscheinend hatte es einen versteckten Mechanismus - Valen konnte es auch nachher nicht sagen, dafür ging es zu schnell – gab es ein lautes Geräusch. Die Beine in die Hand genommen, rannte der Schlangenmensch vor der gewaltigen Exposition davon. Er hätte es auch hinter eine Wand geschafft, wenn da nicht dieser kleine Junge wäre. Ein kleiner Junge von gerade mal vier Jahren, kniete auf dem Boden und spielte. Er wäre gestorben, hätte Valen ihn liegen lassen. Also hob er ihn im rennen hoch und schmiss sich kurz bevor die Eruption die zwei erreichen konnte, auf den Boden, den Jungen unter sich begraben.
Als er wieder aufgewacht war, saß der kleine Junge neben ihm und schaute ihn sorgenvoll an. Und jetzt verstand Valen was passiert war. Sein Rücken war voller kleiner Holzsplitter, die sich teilweise Zentimeter in seinen Rücken bohrten. Später konnte er nicht sagen, wie er nach Hause kam, Fakt war allerdings, dass er seitdem seine Karriere als Meisterdieb beiseite gelegt hatte, denn sein Rücken war total verkrüppelt und der einstige Schlangenmensch hatte nur noch Narben auf seinem sonst so dehnbarem Körperteil.
Was mit Soraya passiert war, wusste er nicht. Sie war seit dem Tag verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Valen hatte den kleinen Jungen, den er Caleb taufte, aufgezogen wie seinen eigenen Sohn und ihm das Klauen beigebracht. Heute war Valen nur noch Kaufmann. Er verkaute die Waren der Diebe zu billigen Preisen und machte somit viel Gewinn.
Wieder seufzte er leise. „Caleb?“, rief er ein zweites Mal. Als wieder keine Antwort kam, erhob er sich schwerfällig, ließ die Zeitung auf seinen Sessel liegen und stellte das Glas Brandy zur Seite. Dann ging er in den Flur um zu schauen, wer da gekommen war ...